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GRAUER REGEN
von Henkman (September 2011)
 


Cologne-Dortmund Metropolitan Area / Germany 22/09/2020 10:30 MEZ

Der Regen prasselte monoton gegen die von Smog verdreckte Scheibe. Seit zwei Tagen hörte es nicht auf zu regnen. Nicht soviel, dass man von „Land unter“ sprechen könnte, aber genug, dass einen die graue Welt hinter der verdreckten Scheibe nur noch deprimierter zurückließ.

Die Scheibe gehörte zum Fenster eines 1-Zimmer-Appartements einer Vorort-Sozialbausiedlung. Das Zimmer selbst war mehr als spartanisch eingerichtet. Billig und zusammengewürfelt aus verschiedensten Materialien gab es Bett, Stuhl, Tisch und eine Kommode. Alle Teile stammten aus dem gleichen schwedischen Möbelhaus und waren Jahrzehnte alt und verschließen. Teilweise waren sie auch notdürftig repariert. Ein Laken hatte die Matratze schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Derjenige der dort schlief, deckte sich mit einem verlotterten Mantel zu. Auf der Kommode stand ein großer Fernseher. Es war ein altes großes Röhrengerät aus den 70zigern des vorigen Jahrhunderts. Vermutlich hatte er wohl funktioniert. Es ließ sich aufgrund des handtellergroßen Loches in der Bildröhre wohl nicht mehr feststellen. Die Wand hinter dem Fernseher war schwarz von Ruß und Staub. Aber die anderen Wände sahen nicht besser aus. Alte Farbe und Tapete blätterte überall von der Wand und in den Ecken wucherte der Schimmel. Ein alter Reisekoffer, an dem die Laufrollen schon lange fehlten, lag unter dem Bett und ein Telefon auf dem Tisch komplettierte das Interieur dieses Zimmers.

In dem Zimmer stank es nach altem Mann, billigem Fusel und kaltem Zigarettenrauch. Der Fusel war alle, die Zigaretten aus und es gab nur noch ihn - den alten Mann und einen schweren Colt AMT. Die Haut der Hände, die diesen Colt hielten, war alt, fleckig und gelb. Sie zitterten. Kein Wunder; der Alte kam gerade von seinem Dauerpegel runter und die Erinnerungen an alte Zeiten kamen wieder hoch. Es war Zeit Schluss zu machen, dachte er sich. Ein Kugel Kaliber .45 quer durch den Schädel würde die ganze graue Ödnis in seinen Gedanken und seinem Alltag ein Ende bereiten. Er grinste leicht und fragte sich warum er nicht schon eher auf diesen Gedanken gekommen war. Es war schon fast zu einfach. Wie automatisch gesteuert, ging die rechte Hand mit dem schweren Colt hoch. Gleich würde sich der Finger am Abzug krümmen und in einer Hundertselsekunde würde die Kugel den Schläfenknochen durchstoßen, auf der anderen Schädelseite wieder austreten und einen blutigen und grauen Brei im Raum verteilen.

Rrrring, Rrrring - Pause - Rrrring, Rrrring. Das Telefon klingelte laut Der Alte erschreckte und der schwere Revolver fiel ihm aus den zittrigen Händen.

"Noch nicht mal in Ruhe verrecken kann man", fluchte er laut. In einer Mischung aus verkatertem Abscheu und unverhohlener Neugier nahm er ab. Schon zu lange hatte keiner versucht ihn zu erreichen.
„Hi.“ - Es war die sehr wohlbekannte dunkle sonore Stimme eines Mannes aus der fernen Vergangenheit.
„Ich habe gehört, du lebst noch.“ „Vielleicht nicht mehr lange!“ - antwortete der Alte.
„Bist du krank?“ - „Krebs!“ - „Tumor oder Metastasen?“ - „Tumor!“
„Aber, dagegen kann man was tun. Da muss man doch nicht den Kopf für hängen lassen.“ - „Weiß ich.“ Der Alte konnte sich das nachfolgende maliziöse Grinsen des Anrufers
dabei sehr gut vorstellen. Er hatte schon früher sich vom Anrufer ausnutzen lassen müssen.
„Ich verstehe; todkrank und kein Geld. So liebe ich mein Geschäft.“ Erwiderte die Stimme und fuhr fort „Bist du fit genug für einen Auftrag?“
„Ich lass es mir durch den Kopf gehen.“
Der Alte hob dabei den Colt AMT vom Boden und musste selber grinsen. Er wusste bereits, dass er viel zu neugierig auf den Auftrag und damit am Haken war.
„Was springt für mich raus?“ - „15.000 Bucks“
„Fuck off“ - das reichte nicht für die OP, noch für die Therapie, dachte sich der Alte.
„Ich will 30.000 Bucks.“ - „Das ist viel zu viel. Andere machen den Job für die Hälfte.“
„Du hättest andere angerufen, wenn es so wäre.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Anrufer antwortete: „Es ist so: Ich brauche einen Profi und ich muss ihm vertrauen können. Du bist ein Profi, wenn auch ein Abgehalfterter, und ich vertraue dir. Auch wenn ich dich schon ewig nicht mehr gesehen habe.“
„Vertrauen kostet Geld!“
„Ok, Ok. 20.000 und eine Einweisung in eine renommierte Onkologie in Japan.“
Beide wussten es. Sie kannten sich schon zu lange um aneinander bluffen zu können. Der Anrufer brauchte den Alten, und der Alte konnte dieses Angebot nicht ausschlagen.
„OK, was soll ich tun?“
„Ich schicke in einem Monat für eine verdeckte Operation ein Team nach Europa. Du wirst für Ihren Aufenthalt, Waffen und den Nachschub sorgen. Gleichzeitig kannst du Ihnen Rückendeckung geben. Aber nur wenn du es wünschst. Das wichtigste ist, dass sie eine gute Basis haben, die nicht sofort auffliegt.“
„Kein Problem. Ich habe da schon ein Objekt im Auge. Eine kleine Bauruine kurz vor der Combatzone. Schon lange verlassen. Die Nachbarn haben ihre eigenen Probleme, und der Keller müsste unserer Sache dienen. Er ist trocken und groß genug, wenn dort klar Schiff gemacht wird. Und da er noch nie für einen Run genutzt wurde, kennt ihn keiner und ist damit save. Die genaue Lage gebe ich dir über eine sichere Leitung.“
„OK. Wir sehen uns in drei Wochen.“

Der Anrufer legte auf. Während der Alte noch den stummen Hörer in der Hand hielt, schaute er zum Fenster raus und bemerkte er, dass es aufgehört hatte zu regnen.

Er war wieder im Geschäft.

Er lachte.